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Einfach nur ein würdevolles Leben


Ali ist 19 Jahre jung und gebürtiger Palästinenser. Er sieht gut aus in seinem trendig geschnittenen Hemd und das Lächeln des Heimkehrenden versprüht Freude und Zuversicht. Nein, er habe keine Angst in seine Heimat zurückzukehren, meint Ali. Selbst wenn Fatah und Hamas dort zurzeit einen erbitterten Bruderkampf führen. «Unser Nachbar, der mich früher jeweils zur Schule brachte, ist letzte Woche von Fatah-Milizen mit acht Kugeln niedergestreckt worden. Er war als Sympathisant der Hamas bekannt.» Ali ist mit dem Krieg aufgewachsen, viel hat sich seit seiner Kindheit nicht verändert. Nun beschäftigt ihn in erster Linie seine Rückkehr. Nach acht Monaten Trennung wird er seine Familie bald wieder sehen - und seine Freundin. Er habe sie zwar während seiner Abwesenheit schon ein paar Mal gesehen, aber nur beim Chatten über die Webcam. In Kairo hat er für sie Geschenke eingekauft, danach reichte das Geld nicht mehr für den Flug. Deshalb sitzt er nun neben mir auf der Fähre, zusammen mit seinem Freund Samir aus Syrien. Seine Reise führte ihn von Kairo mit dem Nachtbus bis ans rote Meer, heute geht’s mit der Fähre nach Aqaba in Jordanien, am gleichen Abend dann noch nach Amman und von dort aus am nächsten Morgen in den Gazastreifen in sein Heimatdorf. Der direkte, wesentlich raschere Weg über den Sinai und die ägyptisch-israelische Grenze ist für Palästinenser schon lange Tabu. Ali studiert in Kairo Medizin. Nun hat er drei Monate Sommerpause. Sein Englisch ist makellos, im Gespräch offenbart er die Reife eines 25 Jährigen. Er war in der Grundschule in Gaza immer der Beste und hat aus diesem Grund ein «Schoolarship» in Ägypten erhalten. Natürlich war der Unterricht in Englisch zu Beginn hart, meint Ali, doch er habe bereits während der Schulzeit viel englische Literatur gelesen. Weshalb ich denn mein liebes Geld in eine fünfmonatige Reise investiere, will Alis Freund Samir wissen. Ich erzähle ihm von meiner Faszination für fremde Länder und meinem Interesse an den dort lebenden Menschen. Sa-mir schaut etwas ungläubig, Ali jedoch versteht sofort. Er möchte selber auch gerne reisen, seine Familie könne das jedoch nicht verstehen. Sie hatte sich bereits schwer damit getan, als er sich für das Studium in Kairo entschied. Ihr kleiner Junge, alleine, und so weit fort von zuhause. Nein, er mache seine Ausbildung nicht, um dereinst für ein besseres Palästina zu kämpfen. Ali will einfach ein würdevolles Leben in Frieden führen, vielleicht in Saudi Arabien. Mittlerweile sei die Verdrossenheit bei vielen seiner Freunde in der Heimat dermassen gross, dass sie sogar eine israelische Kontrolle über die palästinensischen Autonomiegebiete akzeptieren würden wenn nur endlich die Kämpfe aufhören. Ali hat die Familie nicht über seine Rückkehr informiert. Es soll eine Überraschung werden. Er strahlt übers ganze Gesicht. «Meine Mutter wird in Tränen ausbrechen vor Freude, danach wird gegessen und gefeiert.»

( Auf dem roten Meer zwischen Ägypten, Israel, Saudi Arabien und Jordanien, 01.07.07 )

 

Lawrence 2007


Durch dieses Tal muss er einst gekommen sein. Lawrence von Arabien hoch auf seinem Kamel in der Wüste Wadi Rum. Jeden Moment müsste nun ein grosser Stamm Beduinen mit Hakensäbeln und Pferden um den rötlich schimmernden Felsen im Osten stürmen. Nichts, ich laufe und laufe, Reifenspuren und Plastikmüll im Sand. Endlich, ein schwarzes Zelt, spartanisch wie diejenigen palästinensischer Flüchtlinge an den äussersten Rändern Jordaniens. «Salaam alaykum, kayf haalak», begrüsse ich die acht Männer die vor dem Zelt ums Feuer sitzen und diskutieren. Es fällt mir nicht leicht ihnen verständlich zu machen, was einer aus der Schweiz ganz alleine bei Einbruch der Dunkelheit in ihrer Wüste macht. Mit selbstverständlicher Wüstengastfreundschaft laden sie mich dazu ein, meine Hände gemeinsam mit ihnen in den Reishaufen zu stecken, der vor uns auf einer grossen Kupferplatte dampft. Dieselbe Gastfreundschaft, die einst Reisende davor bewahrte, bei der Durchquerung der Wüste zu verdursten oder zu verhungern. Nimm heute was ich habe, dafür gibst du mir morgen was ich brauche ein «Code of conduct» würde man dies heute nennen. Und einer der sich über Jahrhunderte bewährt hat. Sonst hat sich seit Lawrences Besuch jedoch einiges verändert : Der Beduine von heute trägt Jeans, verschiebt seine Schafherde in japanischen Pick-ups und spricht sich übers Handy mit anderen Stämmen ab. Ich erhalte eine dünne Matratze, wir legen uns nahe beim Feuer in den Sand und schauen in bedächtiger Ruhe in den Himmel, wo wie von unsichtbarer Hand über Stunden ein gewaltiges Sternennetz am Firmament aufgezogen wurde. Ein unendliches Glitzern von goldenen Punkten, bis der ganze Himmel vom Sternflackern zu beben scheint. Der Mond, als scheue er sich dieses Schauspiel mit seinem Hell zu stören, hiev t sich erst nach Stunden über die Felsformati-onen im Osten. Stundenlang hät te ich in der ruhigen Geborgenheit meiner Gastgeber in den Himmel starren können, in Gedanken dem Glück des Moments nachhängend, voller Ehrfurcht vor der Weite und Kraft dieses Naturspektakels. «Hätte» – die Ermüdung durch den stundenlangen Marsch im Sand und die 47° C Tagestemperatur brachten das Sternenflimmern leider vorzeitig zum Erlöschen.

( Wadi Rum, 03.07.07 )

 

1967


30 Jahre ist es her und die Zeitungen sind voller Leitartikel und Kommentare, froh darum, dass sich das Jubiläum zum Stopfen ihres Sommerlochs anbietet. 1967, der arabische Albtraum von Marokko bis nach Afghanistan hat sich das Datum in die Seelen der Menschen eingebrannt. Ein Epochenbruch in der Geschichte des Nahen Osten und der endgültige Zerfall vieler Länder in einen Zustand, den der libanesische Journalist Samir Kassir die «Arabische Malaise» nennt. Ich bin in Amman, der Hauptstadt Jordaniens, genauso wie viele Israelis, die das Nachbarland als Feriendestination schätzen. Vielleicht aus Mangel an anderen Möglichkeiten in naher Umgebung, vielleicht aber auch schlicht weil das Land dem Touristen dermassen viel zu bieten hat. Ich spreche mit zwei aus der Wüste Negev stammenden Israelis, die in Jordanien regelmässig Touren für ihre Landsleute organisieren. Sie interessieren sich für meine Erlebnisse in der Wüste Wadi Rum und die dort lebenden Beduinen. Ich hätte die Beiden rein äusserlich wohl nicht von den Jordaniern unterscheiden können – die dunklen Augen, die buschigen Augenbrauen, der braune Teint. Einzig ihr glattes und übertrieben britisches Englisch lässt auf eine Ausbildung an einer vom Westen geprägten Schule schliessen. In fliessendem Arabisch erkundigen sich die Israelis bei den lokalen Führern über das Gelände Wadi Rums. Eine Szene, so unbelastet, als würde ich in der Romandie jemanden auf Französisch nach dem Weg fragen. Gelöst vom politischen Ballast stehen sich Menschen gegenüber, die sich auch als solche akzeptieren, noch lange bevor das Gegenüber als Repräsentant der jeweiligen Regierung verurteilt wird. Wieso in aller Welt sollte also ein Zusammenleben von Arabern und Israelis unmöglich sein ? Ein bisschen mehr Mensch und weniger Ideologie, eine Spur mehr Individuum und weniger unreflektierter Kollektivismus und die seit 1967 offene Wunde in den Seelen der Menschen könnte auf die nächste Generation hin wieder genesen.

( Amman, 12.07.07 )

 

Damaskus «Blues»


Planlos, einzig getrieben von der Freude am Erkunden des Unbekannten, streiche ich durch Neu-Damaskus. Charakterlose Moderne in Form klobiger Zweckbauten, verwestlichten Shopping Malls, Latte Macchiatos in «interkontinentalen» Hotels und Saudis im Kaufrausch nichts was mich nach der Erfahrung der Altstadt noch ernsthaft packen könnte. Doch dann plötzlich, unscheinbar in einer Seitengasse, ein kleines Musikgeschäft mit Jazzplatten im Schaufenster. Ein echter Recordstore, winzig, eigensinnig und urchig wie ich ihn das letzte Mal in Manchester gesehen habe. Art Blakey, Charlie Parker, Wynton Marsalis, Charles Mingus, aber auch die frühen Cream und Santana. Auf der ganzen Welt hat Faisal, der Geschäftsinhaber, seine Platten zusammengetrieben um deren Seelen hier im Herzen Damaskus Musikinteressierten von neuem zu eröffnen. Er versteht sich weniger als Verkäufer, denn als Lehrer in Sachen Musikgeschmack. Gewisse Kunden kaufen seit Jahrzehnten bei ihm ein selten Originale, meist Kopien von seinen Schallplatten auf Kassette oder CD. Er führt seine Jünger mit sicherer Hand und weiss, wann Nasril für John Coltrane bereit ist und Muhammad sich vom Bebop weg hin in Richtung Fusion entwickelt und nach dem «Bitches Brew» eines Miles Davis lechzt. Faisal erzählt mir von der Jazzszene, welche es in Damaskus nicht mehr gibt und sich nur gelegentlich an einem von Pro Helvetia mitorganisierten Kleinfestival in der Altstadt zusammenfindet. Ich erzähle von meiner Reise. Beim Reisen sei es wie bei einem Konzert, meint Faisal : Nie könnte er alleine gehen. Erst das Teilen eines solchen Erlebnisses mit jemandem der dieselbe Leidenschaft dafür empfindet, mache für ihn solche Erfahrungen wertvoll. Und trotzdem versteht er mein Einzelgängertum, respektiert die Reise als eine Art des Lernens und kann sich in die Beweggründe eines jungen Schweizers in Damaskus hineinfühlen. Er weiss auch von den Steinen, die einen solchen Weg zeitweise verstellen und dem Damaskus «Blues», welchem man als Fremder in einer Grossstadt verfallen kann. Vielleicht dieselben Steine, die so manchen Musiker zu seinen rauen, ungeschliffenen Zwischentönen brachten und welche später die Einzigartigkeit seiner Musik ausmachen sollten.

( Damaskus, 19.07.07 )

 

«No fear, drink beer»


Beirut Opfer jahrelanger Vergewaltigungen und trotzdem hat sie ihre Gier nach Leben und Fortbestand nie verloren. Niemand hat die blasse Schönheit am Mittelmeer untergekriegt nicht die Israelis, nicht die Hisbollah, nicht Syrien, der Iran und auch nicht der Westen. Mit einem Rückgrat aus blankem Stahl bleibt die Stadt gegenüber jeglichem politischen Hick-Hack und unversöhnlichen Positionen unbeugsam. Eine Stadt im normalen Ausnahmezustand, nur der Neuankömmling glotzt noch ungläubig zu den Hisbollah-Camps vor der Mohammed al-Amin Moschee hinüber, Tür an Tür mit der St. Georges Kathedrale. Das Zentrum Beiruts, das in den 70 ern noch der Bezeichnung Paris des Nahen Ostens standhalten konnte, wurde kürzlich ins 21. Jahrhundert hinüber renoviert. Modern und chic zwar, mit einer übergrossen Rolex-Uhr auf einem englischen Clocktower. Während diesen angespannten Tagen ist das Zentrum jedoch menschenleer und deshalb furchtbar. Hier stieg Rafiq Hariri am 14. Februar 2005 das letzte Mal in seinen Wagen. Mit allerlei Waffen dekorierte Polizisten und Militärs kontrollieren meinen Rucksack und befragen mich nach meinem Ziel. «Ich suche die Seele Beiruts», antworte ich. Sie lassen mich passieren, schauen mir aber argwöhnisch nach. Unsicher schreite ich voran, eine Stille, die jederzeit zu zerreissen droht. Eine Spannung, so lebensfeindlich und zermürbend, ich möchte davonrennen. Gemmayzeh, ein angesagtes Viertel, nur zehn Minuten Fussweg vom Zentrum, kurz nach Mitternacht : Schöne Menschen, fein gekleidet, ihr eleganter Stil erinner t tatsächlich an Paris. Voller Lebenslust stechen sie ins Nachtleben, nehmen sich was ihnen zusteht eine kleine Pause aus dem täglichen Wahnsinn ihres Alltags. Ein Nachtleben, das aufregender, ekstatischer, lustvoller, hedonistischer, eskapistischer ist als bei uns und oftmals scharf an der Grenze zur Dekadenz. Jede Nacht könnte die letzte sein, niemand weiss ob es die Stadt morgen noch gibt. Ich spreche Lutecia und Imad auf den israelischen Angriff vom vergangenen Sommer an. «No fear, drink beer», sie seien am Strand vor Beirut gesessen und hätten den israelischen Flugzeugen zugeschaut. Sie kannten die Szene noch aus ihrer Kindheit. Wie sonst ausser durch Fatalismus und Eskapismus sollte man sich mit dieser unwirklichen Realität arrangieren können ?

( Beirut, 20.07.07 )

 

Nah am Leben


Wer im Libanon lebt denkt anders, klarer, existenzieller. Es ist als ob der Krieg, die Entbehrungen und die ständige Beschäftigung mit dem potentiellen Nichts von morgen, die Sinne der Menschen für Grundlegendes schärft : Freundschaft, Familie, Liebe, Respekt, aber auch Freiheit und Protest, gehören in den libanesischen Alltag und nicht nur ins Vokabular von verträumten Philosophen. Unter dem Druck der zermürbenden Realität kann sich niemand mehr etwas vormachen. Das formt, schnitzt aus den Leuten Ecken und Kanten und macht sie zu etwas ganz speziellem. Das Leben verlangt den Menschen hier viel ab, beschenkt sie dafür mit einer einzigartigen Aufrichtigkeit, einem klaren Blick und einem grossen Herz. Manche Autoren, Journalisten und Photographen erzählen, dass sie dem Leben mit ihrer Arbeit noch nie so nahe kamen, wie im ständigen Angesicht des möglichen Verlusts. Es scheint als ob die Wachheit, welche die ständige Unsicherheit einfordert, den Menschen wieder zu seinem Kern zurückbringt und sämtliche Nichtigkeiten wegfegt, die der Habitus eines bequemen Alltagslebens mit sich bringt. Ich denke zurück an all den Alltagsschotter und Medienmüll zuhause, der unsere Sinne verschleiert und das Herzstück des «Menschseins» mit klebriger Belanglosigkeit überzieht. Welch wunderbare Welt der Belanglosigkeiten ! All die bequemen, unaufgeregten und selbstzufriedenen Gestalten, die vor lauter Glätte am Leben vorbeischlittern und auf mehr Intensität warten, während verlorene Stunden mit selbstgefälligem Gequatsche unaufhörlich an ihnen vorüberziehen. Zu gut geht es uns. Zu gut, als dass wir uns noch damit beschäftigen müssten, was ein gelebtes Leben tatsächlich ausmacht.

( Dana, 27.07.07 )

 

«Kein Problem mit Amerikanern»


Frederico ist ein bummeliger Mexican-American mit einem wahnsinnigen Fundus an skurrilen Lebensgeschichten. Er wurde im Chaos von Mexiko City geboren, verbrachte seine Kindheit aber hauptsächlich in Chicago, wo er auch heute noch lebt. Seine Haut ist nur unmerklich heller als diejenige unserer syrischen Freunde. Um allfälligen Problemen vorzubeugen, gibt sich Frederico bei neuen Bekanntschaften meist als waschechter Mexikaner aus. Im «Cairo Hotel» in Hama, der Stadt mit den ohrenbetäubend lauten Wasserrädern, kann er seine Identität aber nicht mehr verbergen : «United States of America» steht da in goldenen Lettern auf abgeschabtem Dunkelblau, als er seinen Pass zum Einchecken auf die Theke der Rezeption legt. Dem älteren Herrn dahinter huscht ein verschmitztes Lächeln übers Gesicht : «Für einen Yankee kostet das Zimmer das Doppelte», meint er zu Fred und bricht in schallendes Gelächter aus. Fred erwidert den syrischen Humor und bezahlt denselben Preis wie ich. Einige Tage später lernen wir Mohammed in Palmyra kennen. Nachdem wir ihn einige Male getroffen haben outet sich Frederico als Fred und damit als Lehrer aus Chicago. Mohammed versteht seine Zurückhaltung und meint : «Wir haben kein Problem mit den Amerikanern, wir haben nur ein Problem mit der amerikanischen Regierung!»

( Hama, 30.07.07 )

 

Dem Paradies einen Schritt näher gekommen


Mohammed ist 25 Jahre alt und hat soeben erfolgreich seine Primar-Abschlussprüfung abgelegt. Wie viele seiner Freunde, konnte er vor einem Jahr noch nicht einmal richtig lesen. «Nun ist nichts mehr unmöglich», ist der frischbackene Schulabgänger überzeugt. Er denkt bereits an ein Studium in Damaskus oder Aleppo. Eine Aura voller Elan umgibt Mohammed und tatsächlich hat man aufgrund seines erfrischenden Optimismus das Gefühl, er sei soeben wiedergeboren worden. Ein Primarschulabschluss, die Chance einer Ausbildung musste ich wirklich bis nach Syrien reisen um den Umfang dieses Privilegs zu fassen ? Für Mohammed ist klar, ohne Allah hätte er dies niemals geschafft. So begeistert er auch mit den Schulbüchern lernt, das wirklich wichtige steht für ihn alles bereits im Koran den er nun erstmals auch selbständig lesen kann. Dieser wird jedoch seiner Meinung nach nicht mit dem Kopf verstanden, sondern mit dem Herzen dort wo sowieso alles essentielle Wissen platziert sei. Egal ob Naturwissenschaft, Philosophie oder Alltagsprobleme das heilige Buch ist Mohammeds Führer in allen Lebenslagen. Er gibt mir eine kleine Kostprobe : Damit ihm seine natürlichen Triebe als unverheirateter junger Mann nicht zum Verhängnis werden, legt er der Sunna folgend neben dem Koran die zweitwichtigste Quelle des islamischen Rechts auch neben dem Ramadan immer wieder Mal eine Fastenzeit ein. Das nehme ihm dann auch gleich den sexuellen Appetit. Mohammed nimmt mich zum Freitagsgebet mit in seine Lieblingsmoschee, erklärt mir die rituelle Waschung und übersetzt für mich die Rede des Imams, die heute davon handelt, dass nur selbst verdientes Geld auch gutes Geld ist. Sprich, man solle sich hüten den Verlockungen des Kredits zu folgen. Ein ziemlich aktuelles Thema wie mir scheint, nicht nur hier in Syrien. Die meisten Gläubigen wirken nach dem abschliessenden gemeinsamen Gebet ein raumfüllendes Murmeln, das mich ans «Chanting» von buddhistischen Mönchen erinnert nicht viel erlöster als bei uns die Sonntagsschüler nach dem obligaten Kirchengang. Anders jedoch Mohammed : Er strahlt, als wäre er dem Paradies soeben einen Schritt näher gekommen.

( Palmyra, 03.08.07 )

 

Ali, der alawitische Europäer


Die Zugstrecke von Aleppo an die Mittelmeerküste Lattakias ist ein Juwel ! Erst führt sie durch weite Olivenhaine, die im Sonnenlicht silbrig glitzernd ausschauen wie das Wogen des Meeres. Später, wenn sich der Zug die Hügel empor kämpft, welche das Meer vom Hinterland abtrennen, rattern wir durch dichten Tannenwald, vereinzelt unterbrochen durch wundervolle Einblicke in wildromantische Seitentäler. Bei einem Kaffe im Speisewagen spricht mich Ali auf Französisch an. Er hatte mich zuvor gehört, als ich das Armenisch meines Sitznachbars für Spanisch hielt ein Schnitzer, der nur einem Greenhorn in dieser Gegend unterlaufen kann ! Ali hat fünf Teenagerjahre in Paris verbracht, «die besten Jahre meines Lebens», wie er sagt. Sein Französisch ist um mehrere «Larousse» besser als meins. Zweimal fuhr er mit seinem Wagen durch ganz Europa und die Türkei bis nach Syrien. Er habe Europa geliebt und fühle sich bis heute als Europäer. Sein Vater entschied zurückzukehren als Ali 19 war. Auf Grund seiner ausserordentlichen Leistungen hätte er zum Leiter der Radiologieabteilung einer angesehenen Pariser Klinik berufen werden sollen. Seine französischen Kollegen jedoch mobten ihn, bis er das Handtuch warf. «Ein syrischer Chef de Service in Frankreich das geht bis heute nicht», ist Ali überzeugt. Trotz der Enttäuschung will er selber auch angehender Arzt zurück nach Frankreich : «Die Spezialisierung hier in Syrien ist ein Witz im Vergleich zu derjenigen in Europa». Als wir in Lattakia ankommen hilft mir Ali einen vertrauenswürdigen Taxifahrer zu finden. Die meisten wollen mir an diesem Abend weismachen, dass mein angepeiltes Hostel bereits ausgebucht ist und nur noch die teuren Hotels freie Plätze böten. Dreist, steht doch genau dieser «Hassle» mittlerweile in jedem Reisehandbuch. Wir finden einen Fahrer, der nicht auf eine Kommission aus ist und die Fahrt wird mit lautem Arab-Pop, einem adrenalingeschwängerten Fahrstil unseres Chauffeurs und der angenehmen Meeresbrise Lattakias zum Fest auf vier Rädern. Als wir ankommen meint Ali : ««Falls du die Tage mal einenFahrer brauchst, nimm ihn. Er ist Alawit, wie ich,und wenigstens darauf ist in diesem Land noch verlass».

( Lattakia, 12.08.07 )

 

Roadtrip Syria


Sändlä ist 24, Bernerin und studiert Islamwissenschaften an der Uni Fribourg, wo es, wie sie erzählt, in unmittelbarer Nähe einen syrischen Falafelstand gibt. Dort stellte sie bis vor kurzem ihr hart erarbeitetes Arabisch jeweils über Mittag beim Patron unter Beweis. Dieser war angeblich von dem Berndeutschen Akzent in seiner Heimatsprache so hin und weg, dass er Sändlä kurzerhand dazu einlud, seine Familie in Damaskus zu besuchen. Sie liess sich nicht zweimal bitten. Vor drei Wochen ist Sändlä in Damaskus angekommen. Eine Woche im Kreis der Familie des Falafelverkäufers, wo sie ihren jetzigen, äusserst smarten Freund Mohamad kennen lernte. Die Bernerin überredete ihn kurzerhand dazu, gemeinsam Syrien zu bereisen ein damaskenisch-bernischer Roadtrip sozusagen. Nur nicht in einem offenen Cadillac sondern in gestopften Mehrfamilien-Bussen. Mohamads Familie hatte kein Problem mit dem für syrische Verhältnisse sehr ungewöhnlichen Vorhaben. Die Hotelbesitzer jedoch schon. Nur in Bordells und heruntergekommenen Hafenpensionen, inklusive Spanner am Schlüsselloch, duldete man die beiden Unverheirateten. Und auf der Dachterrasse im Safwan Hotel in Lattakia, wo wir uns kennenlernen. Ein Dach voller Atmosphäre und Geschichten aufregender als es jedes Hotelzimmer je sein könnte.

( Lattakia, 13.08.07 )